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80 Jahre literarisches Gedächtnis in der Erinnerungskultur. Rachel Salamander im Gespräch mit Münchner Studierenden

Welche Bedeutung haben autobiographische Erlebnisberichte von Holocaust-Überlebenden und deren Nachkommen achtzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs? Und welche Rolle kann Literatur – als subjektives, künstlerisches, empathieerzeugendes Medium – in der gegenwärtigen, zunehmend digitalisierten Erinnerungskultur spielen? Kaum jemand kann über diese Fragen so sprechen wie Rachel Salamander. 1982 eröffnete die promovierte Literaturwissenschaftlerin in München die Literaturhandlung, eine Fachbuchhandlung zur Literatur zum Judentum – die erste ihrer Art in der Bundesrepublik nach der Shoah. Bei den zahlreichen, impulsgebenden Veranstaltungen in der Literaturhandlung war in den 1980er-Jahren häufig auch die Holocaust-Überlebende und heute kaum noch bekannte Schriftstellerin Gerty Spies zu Gast.

„Gerty Spies hat Glück gehabt“.

„Gerty Spies hat Glück gehabt“, begann Rachel Salamander ihren Impuls an diesem Abend im Jüdischen Museum München. Aus einer sich assimilierenden deutsch-jüdischen Familie stammend und mit Kindern von einem protestantischen Ehemann, erlebte Spies die schrittweise Ausgrenzung aus der Münchner Stadtgesellschaft. 1942 wurde sie nach Theresienstadt deportiert – in jenes Lager, in dem die Nationalsozialisten die jüdische Geisteselite vorzeigbar hielten, um internationale Kritik zu beschwichtigen. 1945 kehrte sie als eine von nur 160 Jüdinnen und Juden nach München zurück.

Schreibend Überleben.

Rachel Salamander verband in ihrem Vortrag die Biografie von Gerty Spies eindrucksvoll mit deren literarischem Werk. Sie zeigte, welche existenzielle Bedeutung das Schreiben für Spies hatte – als Akt des Überlebens, der Selbstbehauptung und der Bewahrung von Würde.

Literatur, so Salamander, habe immer auch Anteil am Allgemeinen: Sie schafft einen besonderen Zugang zur historischen Wirklichkeit, den weder wissenschaftliche Analyse noch dokumentarische Formen vollständig erreichen können. Literatur also als Gedächtnis der Erinnerungskultur – ein Gedächtnis, das Empathie und Erkenntnis auf einzigartige Weise verbindet.

Was kann ein Gedicht, was ein Hologramm nicht kann?

Im anschließenden, regen Publikumsgespräch ging es genau darum: Warum sollte man heute noch die Überlebensberichte lesen? Was kann ein Gedicht, was ein Film oder ein Hologramm nicht kann? Die Diskussion machte deutlich, dass gerade die literarische Form – mit ihrer Subjektivität, Emotionalität und sprachlichen Dichte – eine unersetzbare Perspektive auf die Shoah eröffnet. Sie fordert nicht nur Wissen,
sondern auch Einfühlung und Verantwortung vom Gegenüber. Für viele der über hundert Anwesenden an diesem Abend wurde spürbar, dass Literatur auch achtzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nichts von ihrer Kraft verloren hat – als lebendiges Gedächtnis und als Einladung, sich immer wieder neu mit Geschichte auseinanderzusetzen.

Students Remember dankt Rachel Salamander, dem Jüdischen Museum München und den Münchner Kammerspiele für die gelungene Kooperation.

80 Jahre literarisches Gedächtnis in der Erinnerungskultur. Rachel Salamander im Gespräch mit Münchner Studierenden
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