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"Mensch, wo bist Du?" (Gen 3, 8). Ein Gottesdienst am 9. November 2025
Überraschend viele und ungewöhnlich junge Gesichter füllten am Vormittag des 9. November die Bänke der Evangelischen Universitätskirche St. Markus in München. Zwischen Studierenden, Lehrenden und Gästen aus der Stadtgesellschaft fanden sich auch einige Friends des Studentischen Vereins zur Förderung von Erinnerungskultur ein, der den Gottesdienst gemeinsam mit der Evangelischen Studierendengemeinde (ESG) und Pfarrerin Dr. Christina Ehring organisiert hatte.
Kein gewöhnlicher Gottesdienst.
Der 9. November sei kein gewöhnlicher Tag, und so könne auch dieser Gottesdienst kein „gewöhnlicher“ sein, meinte Simon Fetscher, Erster Vorstand von Students Remember, in seiner Einleitung. Er betonte die komplexen, widersprüchlichen Sinnzusammehänge, in die der 9. November eingebunden ist und hinterfragte den oft unkritisch gebrauchten Begriff des „Schicksalstags" der Deutschen kritisch.
"Wieso kommt denn eigentlich nicht die Feuerwehr?"
Im Zentrum des Gottesdienstes standen die Erinnerungen von Charlotte Knobloch a die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, die die Vereinsmitglieder Charlotte Köster und Emilia Kuczkowski vorlasen. In dieser Nacht floh die damals sechsjährige mit ihrer Familie aus der Wohnung, irrte durch ein brennendes München und erlebte wie der schwer verletzte Freund und Kollege ihres Vaters aus seinem Haus gestoßen wurde. Vor der zerstörten Synagoge und mit Blick auf ihre brennende Schule drängte sich ihr eine einzige Frage auf: „Wieso kommt denn eigentlich nicht die Feuerwehr?“
Eine kritisch-reflektierte Predigt.
Diese Frage machte Pfarrerin Dr. Christina Ehring zum Ausgangspunkt ihrer Predigt. Sie sprach über das Erschüttern dieses kindlichen Vertrauens in die Menschlichkeit, und darüber, welche Werte eine Gesellschaft tragen müssen, damit Hilfe selbstverständlich bleibt. Sie spannte den Bogen von der Reichspogromnacht zur Verantwortung der Kirche: Wie jahrhundertealte theologische Abgrenzungen vom Judentum den Boden bereitet hatten für das, was im Nationalsozialismus pervertiert wurde. Zusammen mit Elisabeth Woehlke, die einen Teil der Predigt hielt, zeigte sie, dass sich die evangelische Kirche in großen Teilen dem NS-Staat anpasste, Theologie und Ideologie einander die Hand reichten und dass nur wenige Stimmen, wie die von Hellmut Gollwitzer, Karl Immer oder Bernhard Lichtenberg, öffentlich widersprachen.
Nach 1945, habe es lange gedauert, bis die Kirche ihre Mitschuld und ihre theologischen Fehlentwicklungen anerkannte. Erst allmählich entstand aus dem christlich-jüdischen Dialog ein neues Bewusstsein: Jesus war Jude, und ohne das Judentum kann das Christentum sich selbst nicht verstehen. Heute sei es Aufgabe der Kirche, das Erinnern wachzuhalten und den Dialog fortzusetzen.
Nachdenklich.
Der Gottesdienst endete in stiller, konzentrierter Atmosphäre. Nach dem letzten Lied blieb die Gemeinde noch einen Moment sitzen – viele sichtlich bewegt, manche nachdenklich. Auf den Liedblättern stand die Frage, die sich durch den gesamten Vormittag zog: „Mensch, wo bist du?“ Viele Gäste blieben noch, suchten das Gespräch, tauschten Gedanken aus. Besonders Studierende betonten, wie eindrücklich der Gottesdienst die Verbindung zwischen Geschichte, Glaube und gesellschaftlicher Verantwortung spürbar gemacht habe. Der 9. November zeigte sich an diesem Vormittag nicht als fernes Datum, sondern als Anlass, sich selbst zu fragen, welche Verantwortung jede und jeder von uns trägt – damals wie heute.
Students Remember dankt Pfarrerin Dr. Christina Ehring und Elisabeth Woehlke für die inspirierende Zusammenarbeit, der Evangelischen Universitätskirche St. Markus für die Möglichkeit, den Gottesdienst am 9. November in Erinnerung a die sogenannte Reichspogromnacht gestalten zu dürfen, und den Musikerinnen und Musikern der Dresdner SoliDeisten für ihren klangvollen musikalischen Beitrag zum Gottesdienst.
Wer sich einbringen oder zukünftige Events von Students Remember unterstützen möchte, ist herzlich eingeladen, uns zu supporten.

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